Der Saxophonist Andy Scherrer (*1946) zählt seit vielen Jahren zu den ganz grossen Tenorsax-Stilisten weit und breit: Er hat die Tradition von Hawkins und Young bis zu Coltrane und Shorter in sich aufgesogen und daraus einen eigenen, gleichermassen expressiven und quirligen Stil geformt. Scherrer ist nicht nur ein schnörkelloser Performer, sondern auch ein profilierter Mentor und Förderer jüngerer Talente: So haben so gut wie alle bedeutenden Tenoristen des Schweizer Jazz (u.a. Roman Schwaller, Donat Fisch, Domenic Landolf, Jürg Bucher, Christoph Grab) bei ihm studiert. Scherrer leitet ein eigenes Quartett (feat. William Evans, Isla Eckinger und Dré Pallemaerts), mit dem er bisher zwei CDs («Second Step»; «Remember Mal Waldron») eingespielt hat; mit einem Quintett (feat. Matthieu Michel, Jean-Paul Brodbeck, Fabian Gisler und Dominic Egli) hat er das Album «Serenity: A Tribute to Joe Henderson») aufgenommen; seit vielen Jahren gehört er zu den Starsolisten des Vienna Art Orchestra.
Von vielen Kritikern wird Bill Carrothers (*1964) in einem Atemzug mit Brad Mehl-dau genannt. Carrothers zählt tatsächlich zu den aufregendsten und einfallsreichsten Jazzpianisten unserer Zeit, seine Spielweise unterscheidet sich allerdings ganz deutlich von derjenigen seines berühmteren Kollegen. Auf beeindruckende Weise gelingt Carrothers der Brückenschlag zwischen dem Sublimen und dem Subversiven. Dies lässt sich auch an seinem Repertoire ablesen, zu dem neben kuriosen Eigenkompositionen Stücke aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs und des Ersten Weltkriegs sowie in Vergessenheit geratene Schlager (z.B. «Button Up Your Overcoat», «Beyond the Blue Horizon» oder «Sleep Warm»), die er zum grössten Teil von seiner Mutter gelernt hat, gehören. Weil er sich mit dem hektischen Lebensstil im Jazzmekka New York nicht anfreunden konnte, zog Carrothers mit seiner Familie in ein Pro-vinzkaff in Michigan, wo er zeitweise als Koch arbeitet. In der Abgeschiedenheit konnte Carrothers zwei Hörerfahrungen verarbeiten, die er noch in New York ge-macht hatte und die seine Sicht auf die Musik nachhaltig verändert haben. «Im Villa-ge Vanguard erlebte ich einen Auftritt der Sängerin und Pianistin Shirley Horn. Sie war betrunken und konnte sich zum Teil nicht an die Texte erinnern, trotzdem hat mich ihr Umgang mit langsamen Tempi umgehauen. Eine ähnliche Wirkung ging von einer Begegnung mit dem Pianisten Hank Jones aus, er spielte ohne Hast und mit viel Wärme, wie ein Grossvater im Schaukelstuhl, der eine Geschichte erzählt», erinnert sich der Pianist.
Unter den europäischen Saxofonisten der jüngeren Generation zählt Jürg Bucher (*1967) zu den grossen Melodikern; in jüngster Zeit ist er auch oft als Klarinettist aktiv. Er ist kein hektischer Phrasendrescher, sondern ein Improvisator mit einer lyrischen Ader, der es liebt, angeregt mit seinen Mitmusikern zu kommunizieren. Bucher studierte an der Swiss Jazz School in Bern, wo Andy Scherrer zu seinen Lehrern zählte. Auf der von der Kritik viel gelobten CD «The Music of Herbie Nichols» sind die Resultate von Buchers langjähriger Auseinandersetzung mit den unorthodoxen Kompositionen des eigenwilligen, 1963 verstorbenen Pianisten, der zu seinen Lebzeiten nie die ihm gebührende Anerkennung fand, zu hören. Bucher tritt regelmässig mit folgenden Formationen in Erscheinung: Daniel Schläppi Dimensions (feat. Colin Vallon); Daniel Schläppi Voices (feat. Domenic Landolf und Dominic Egli); Oli Kuster Kombo; Martin Streule Jazz Orchestra; Araxi Karnusian Strange Sounds-Beautiful Music.
Das 1977 vom Wahlwiener Mathias Rüegg ins Leben gerufene Vienna Art Orchestra (VAO) ist ein Sammelbecken für die geballte Kreativität des europäischen Jazz. Die Mitglieder des VAO sind keine braven Bigbandsöldner, sondern ausgewiesene Individualisten. Die meisten von ihnen treten auch mit eigenen Bands ins Rampenlicht. Einer von ihnen ist der 1968 geborene und dreissig Jahre später als Newcomer des Jahres mit dem Hans-Koller-Jazzpreis ausgezeichnete Österreicher Herwig Gradischnig. 2003 gabs für Gradischnig den zweiten Koller-Preis - dieses Mal für die CD des Jahres: «Day Dream» (Duo mit dem Pianisten Oliver Kent). Gradischnig gehört seit 1993 zur Sax-Section des VAO, in der ja auch Andy Scherrer mitwirkt. Gradischnig zählt zu den herausragenden Exponenten der enorm umtriebi-gen Jazzszene Wiens. In einer Kritik stand zu lesen: «Sein ausgefüllter, emphatischer Sound lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. Ungemein abgeklärt und stilsicher besticht er mit Beweglichkeit und Biss.» Gradischnig scheints dort am wohlsten zu sein, wo Tradition und Moderne sich kreuzen und der Jazz zeitlos wird.
Nach privater Förderung durch die Bass-Legende Peter Frei absoliverte Fabian Gisler (*1977) die Swiss Jazz School in Bern. Bereits während des Studiums avan-cierte er zu einem der gefragtesten Kontrabassisten in der Schweiz. In seinem Spiel verbindet Gisler Leidenschaft mit Passion. Ob Swing, funkige Grooves oder freies Pulsieren: Er sorgt stets für ein Maximum an kinetischer Energie. Gisler durfte bereits zahlreiche internationale Koryphäen begleiten, u.a. Kenny Werner, Joe Lovano, Dick Oatts und Makaya Ntshoko. Nach einem Aufenthalt in Berlin rief Gisler ein eigenes Quartett ins Leben (feat. Colin Vallon, Henrik Wallsdorf und John Schröder), von dem demnächst eine CD erscheinen wird.
Der belgische Schlagzeuger Dré Pallemaerts (*1964) trat vor ein paar Jahren die Nachfolge Daniel Humairs am Konservatorium in Paris an. Damit ist klar: Pallemaerts, der in den USA bei Jeff Hamilton studierte und danach u.a. mit Art Farmer und Fred Hersch musizierte, ist der neue Stern am europäischen Jazzschlagzeuger-Himmel. Pallemaerts ist ein impulsiver Trommler, der es bestens versteht, eine Band aufzumischen und mitzureissen. Dabei baut er ausserordentlich kühne rhythmische Verschiebungen und Überlagerungen in sein vielschichtiges Spiel ein. Aus Pallemaerts unzähligen Aktivitäten als Sideman seien hier seine langjährigen Engagements im Bill Carrothers Trio und im Andy Scherrer Quartet hervorgehoben.
Andy Scherrer | tenor saxophone
Bill Carrothers | piano
Jürg Bucher | tenor saxophone, soprano saxophone, bass clarinet
Herwig Gradischnig | tenor saxophone, bass clarinet
Fabian Gisler | bass
Dré Pallemaerts | drums
Andy Scherrer
Bill Carrothers
Jürg Bucher
Herwig Gradischnig
Fabian Gisler
Dré Pallemaerts